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Rituale der Häutung
von Horst Gerhard Haberl
© 2007

Would it really be better... when women were bitches beyond bitches eating the men like spiders do?


„Bitches“ („Weibsstücke“), die sich selbst verzehren vor Sehnsucht und Frust, agieren im subversiv inszenierten Sprachraum eines „All-women´s universe“. Mit der theatralischen Performance „Striptease for Mimi, the Cat” versetzt Walli Höfinger ihr zwiespältiges Ich in eine raumzeitliche Anomalie. Sie verkörpert darin ihre Träume und Traumata. Sie versetzt Charaktere, wie der sprichwörtliche Glaube Berge versetzt. Sie kommuniziert ihre real vorgeführten Rollen zeitgleich mit ihren, wiederum selbst verkörperten, virtuell voraufgezeichneten Rollenbildern. Die Performerin häutet sich. Wie eine Schlange oder Vogelspinne durchläuft sie ihre Häutungen als initiatorisches Ritual einer permanent anderen Wiedergeburt – von einer Verpuppung zur nächsten. Bis tief unter die Haut schlüpft sie scheinbar leicht wie in einem Traum aus einer Lebensbedingung in eine andere – um zu erfahren, dass sie festgewachsen ist an ihrer Haut. Die Aufführung selbst gerät auf diese Weise immer wieder aus ihrem rhythmischen Atem. Der theatralische Energiefluss zirkuliert nicht wirklich, es gibt keinen wirklichen Handlungsfaden, aber er reißt zuweilen trotzdem ab und führt ganz woanders hin und weiter. Also existiert doch einer – wie im realen Leben und schon gar im Traum.

Slipping into the world, I suddenly feel my real skin and my weight on the floor, the real and true floor, real and true touch. I feel the clothes on my body, my hair on my head. (…) You hear the space around your body…

Walli Höfinger versucht schon immer, menschliche Grenzerfahrungen an sich selbst auszuloten. Aus der interaktiven Verschmelzung von realen und virtuellen Körpersprachebenen destilliert sie seit den 1990er Jahren ein minimalistisch akzentuiertes Vokabular tänzerischer Bewegungsabläufe und gestischer Überzeichnungen. Dabei spielt von Anfang an der dialogische Austausch von Geist und Körper an der Schnittstelle von Natur und Technik eine tragende und zugleich hinterfragende Rolle. Es ist das Projekt Körper mit seinen medialen Projektionen, das sie fasziniert. In ihren ersten Performances spielt die Video-Skulptur den Part eines jenseits der realen Befindlichkeit liegenden Außen-Leibes. Für die leibhaftige Erkundung der eigenkörperlichen und damit eigensinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit geht Höfinger später bis an die Grenzen ihrer physischen wie psychischen Belastbarkeit. Akrobatisch ausgeführte, skulpturale Körper-Rituale aus Hängen und Lasten, Balance und Ungleichgewicht, Schwingen, Fallen und Aufsteigen übernehmen den dialogischen Beziehungsaufbau mit ihrem inneren Selbst als Teil des den jeweiligen Aufführungsraumes bestimmenden Fluidums. Das Wesen des Rituals liegt allgemein in der Übersteigerung, Überformung und Überzeichnung, in der Reduktion auf das Wesentliche, im Identitätswechsel, d.h. in der vorübergehenden Annahme einer anderen Körpererfahrung (bei vielen Naturvölkern: die Verwandlung in ein Tier), in der Dehnung der Zeit sowie in der permanenten Wiederholung von Zeichensetzungen und Handlungsabläufen. Der bisherige Verlauf von Walli Höfingers künstlerischen Häutungsprozessen kann auch mit der von dem belgischen Anthropologen und Ethnologen Arnold van Gennep geprägten Vorstellung der „Rites de Passage“, dem ritualisierten Übertritt von einer Lebensstufe in die andere, umschrieben werden. So macht sie einen weiteren Lernschritt: Über die Orientierung der eigenen Leiblichkeit im Raum entdeckt sie die energetischen Eigenschaften ihrer eigenen Stimme. Unter Anleitung der amerikanischen Regisseurin und Stimmtrainerin Judi Wilson arbeitet Höfinger an ihrer Stimmbildung, testet ihre phonetische Bandbreite und Modulationsfähigkeit – und entwickelt daraus ein weiteres vielgestaltiges Kommunikationsmedium ihres körpereigenen Sprachrepertoires.

It´s dangerous to show yourself in front of the world.(…) Lost without being connected when really we all want nothing more than to be part of the world connected to Magic and to Secrets.

Mit „Striptease for Mimi, the Cat“ tritt Walli Höfinger aus der Authentizität ihrer eigenen Person und Geschichte heraus, wechselt Identitäten und Sprachkonventionen wie Kleider und öffnet eine abgrundtiefe Zeitspalte, die Vorgeschichte und Zukunft als Gegenwart erscheinen lässt. Ähnlich der von Beuys definierten Sozialen Plastik breitet sich ein organisch strukturiertes Geflecht von Beziehungen aus. Sie veranschaulicht Beziehungsknoten, die das – zeitlich unendliche - Archetypische mit dem Hier und Jetzt verknüpfen. Im Kontext der vorliegenden Produktion ist vielleicht eher von einer „asozialen“ Plastik die Rede, von einer Plastik aus „nicht sozialisierten Gefühlen“ (W.H.) Nach C.G. Jung „spielt“ Höfinger spielt dabei mit dem „absoluten Gegenwartsumfang von Zeichen“: Die hier gemeinten Zeichen sind ort- und zeitlos. Sie existieren seitdem es Menschen gibt. Als Symbole und Synonyme verkörpern sie ritualisierte gesellschaftliche Konventionen, kulturelle Verhaltens- und Umgangsformen. Und derartige Zeichen verkörpern im gegenständlichen Fall den Ursprung weiblicher Seelenbilder wie Medusen bzw. Meerjungfrauen, Schlangen- oder Spinnenfrauen; kurz: Wesen, die wie die Goethesche „Urpflanze“ Energie verkörpern. Die Grenzen verfließen. Das autobiografische Material ihrer privaten weiblichen Mythologie zersetzt sich im Sammelbecken kollektiver Mythologien am Rande des Unbewussten.

We all just want an easygoing life and a relationship with no problems, all shining and perfect, easy and sexy all the time, to be alert, swinging, singing...

In der theatralischen Überformung ihrer weiblichen Charaktere fügt Walli Höfinger dem Dualismus des Verdeckens und Entdeckens einen „dritten“ Erfahrungs(spiel)raum hinzu. In ihm treten Subjekt (Leib) und Objekt (Körper) alternierend als Alter Ego sowohl live als auch virtuell in Erscheinung. Das hier real und virtuell transformierte Über-Ich erscheint als krass überzeichnete Super-Ikone gefundener und erfundener Frauenrollen. Der selbstverfasste, während der Performance live, „voiceover“ oder aus dem Video-Off in den Schauraum gespülte Text pendelt zwischen Poesie und subversiver Trivialität: Marginale Textfragmente – von der eigenen Haut abgekratzte, abgeschälte oder herausgerissene Hautstücke. Auf der beständigen Suche nach dem ontologischen Kern des und damit ihren Frau-Seins seziert Höfinger ihre „Weibsstücke“, entkleidet sie ihrer vielschichtigen emotionalen Hüllen, legt die Nerven blank – bis auf die Knochen (aus Adams Rippe?).

The past, what lies behind you, look back.
Hot, which burns all the flesh, the plants, the green, no water, all grey, hot, angry.
The only thing to survive was a pile of bones – the memory of me.

Walli Höfinger entäußert ihr Innerstes als anatomisches Recyclingmaterial für die alchimistische Forschung nach dem Geist des Stoffes. In ihrem Körper, gleich der alchimistischen Vase, kocht sie animalisch beseelte weibliche Wesen auf und kreuzt sie mit weiblichen Kreaturen aus Märchen, Comics, Film und Life Stile. Doch die Inszenierung dieser differenzierten Wahrnehmung von Körper und Leib ist kein Produkt aus der Retorte, sondern setzt unmissverständlich den immerwährenden Gebärakt urmütterlicher Instinkte und Seelenzustände voraus.

All I have to give is in my bones.